Ein Text über die die unsichtbaren Dinge im Leben. Ein Appell an die Dankbarkeit.
Deine ganze Wohnung ist voller Geschenke. Überall. Direkt neben dir auf dem kleinen Tischchen, aber auch auf dem Fensterbrett und in der Küche. Ja, der ganze Flur ist voll. Und auch auf der Straße. Egal wo du hingehst: Der Boden ist gepflastert mit Geschenken. Siehst du sie denn nicht?
Alle sind unterschiedlich groß und bunt verpackt. Keins gleicht dem anderen. Manche sind so groß wie mittelgroße Möbelstücke; andere ganz klein und unscheinbar. Vorhin hättest du dich fast auf eins drauf gesetzt.
„Da sind keine Geschenke“ wirst du sagen. „Wer hätte die denn da hingelegt und überhaupt — warum kann ich die denn nicht sehen?!“.
Und damit stellst du genau die richtige Frage; aber bitte vergiss für einen kurzen Moment deine Zweifel und folge dem Gedanken.
Angenommen es gäbe diese Geschenke. Du könntest sie sehen und anfassen. Immer wenn du welche auspackst kommen aus allen Ecken neue nach. Und es sind gute Geschenke. Diese Art von Geschenken über die man sich besonders freut und sich auch noch Jahre später an sie erinnert.
Wie würdest du dann durch dein Leben gehen? Wenn du weißt, dass du überall von Geschenken umgeben bist?
Egal wie anstrengend das Meeting heute Vormittag war; egal wie traurig du gerade bist und egal wie mies das Wetter morgen sein wird: Du kannst einfach neben dich greifen und ein super-duper Geschenk auspacken. Und das nicht nur an Weihnachten und an deinem Geburtstag sondern eigentlich immer und jederzeit. Natürlich wäre deswegen auch nicht alles gut. Manche Momente sind einfach Mist; aber du würdest doch positiver auf die Welt blicken.
Du ahnst vermutlich schon, wo dich der Gedanke hinführen soll: Diese Geschenke gibt es. Die vielen Kleinen und die Großen. Die mit und die ohne Schleife. Fein säuberlich verpackt in bunt schillerndem Unsichtbarkeits-Papier. Versteckt hinter Alltagssituationen und Unaufmerksamkeiten.
Natürlich meine ich weniger die nigelnagelneue PlayStation oder die Erste-Reihe-Taylor-Swift-Konzert-Karten, sondern viel mehr geht es mir um immaterielle Aufmerksamkeiten. Um wertvolle Zeit mit der Familie. Um das ernst gemeinte Lob von deiner Lieblingskollegin. Um den Sitzplatz den man in der Bahn angeboten bekommt oder das Lächeln des Brezenverkäufers. Wenn du ein bisschen darüber nachdenkst werden dir noch viel mehr gute Beispiele einfallen. Oft sind es Kleinigkeiten, die uns in einer Situation ein gutes Gefühl geben.
Aber wie das mit Geschenken so ist: In aller Regel muss man selbst welche verteilen, um langfristig welche zu bekommen. Zumindest nachdem man herausgefunden hat, dass das mit dem Christkind und dem Weihnachtsmann nicht so ganz stimmen kann. Aber keine Sorge: du musst nicht extra Unsichtbarkeits-Papier kaufen; du musst deine Geschenke nicht einmal einpacken. Es ist viel einfacher: Ein freundliches „Danke“ an die Busfahrerin, ein unerwartetes Kompliment oder eine Geburtstags-Nachricht die unerwartet liebevoll ist.
Unsichtbare Geschenke sind für die schenkende Person in aller Regel kostenlos; für die Beschenkte aber unglaublich wertvoll. Man denke nur das wäre in unserer Welt bei materiellen Geschenken auch so. Alle würden ständig Dinge verschenken, weil alles ja einfach nur mehr wird.
Letztens wurde mir selbst ein Spiegel vorgehalten. Vor einem Geschäft habe ich auf eine Bekannte gewartet. Eine Person, die ihr — zumindest in der Ferne — zum Verwechseln ähnlich sah, ist genau auf mich zugelaufen. Ich habe sie also in überschwänglichem Ton mit »Ja, hallo!« begrüßt. Sie — sichtlich verwundert aber lächelnd — fragt mich ob ich sie denn „einfach so“ so freundlich anspreche. Perplex antworte ich: „Ja, einfach so“. Natürlich hat das jetzt nicht unbedingt gestimmt, aber warum eigentlich nicht? Wir sind beide schmunzelnd unserer Wege gegangen. Manchmal kann es so einfach sein.
Weihnachten sollte nicht der einzige Anlass sein, an dem wir Geschenke schenken aber ich glaube es ist ein guter Moment zu reflektieren und sich für das nächste Jahr einerseits vorzunehmen aufmerksamer auf vielleicht erstmal unsichtbare Geschenke zu achten und gleichzeitig großzügiger selbst welche zu verteilen.